EU-Wettbewerbskommissarin Vestager hat in einer Rede am 22. Oktober 2021 in Rom ausdrücklich betont, dass die EU-Kommission zukünftig verstärkt auch atypische Kartelle, einschließlich Gehaltsabsprachen oder Abwerbeverbote verfolgen wird.
In jüngerer Vergangenheit haben nationale Kartellbehörden in Europa begonnen, gegenseitige Abwerbeverbote und Gehaltsabsprachen in eigenständigen Kartellverfahren zu untersuchen bzw. mit Bußgeldern zu sanktionieren (so z.B. Litauen, Polen, Portugal und Ungarn). In den Fällen Fernwärmetechnik bzw. Fernsehstudios haben die EU-Kommission und das Bundeskartellamt Absprachen im Personalbereich bislang nur als Annex zu weitergehenden Kartellabsprachen verfolgt.
Das EU-Kartellrecht ist grundsätzlich auf alle Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen anwendbar. Der sachlich relevante Markt ist hierbei der Markt für Arbeitskräfte, auf dem die nachfragenden Unternehmen um ihr (zukünftiges) Personal konkurrieren.
Eine Einschränkung ergibt sich aus der Ausrichtung des Kartellverbots auf Unternehmen. Infolge dieser Ausrichtung fallen nach der EuGH-Rechtsprechung Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich heraus. Damit sind Absprachen zwischen Gewerkschaften und Tarifvereinbarungen nicht dem Kartellrecht unterworfen.
Problematische Absprachen im Personalbereich können vor allem in Form von Sperrabreden, Abwerbeverboten und Gehaltsabsprachen auftreten. Bei Abwerbeverboten und Sperrabreden besteht die Gemeinsamkeit, dass die Unternehmen untereinander eine Art „Nichtangriffspakt“ in Bezug auf ihr Personal vereinbaren. Abwerbeverbote oder Sperrabreden zwischen Arbeitgebern können grundsätzlich den Wettbewerb um die Arbeitskräfte beschränken.
Auch Gehaltsabsprachen stehen im Fokus von jüngsten Kartellverfahren. Das umfasst auch Absprachen zu Gehaltsbestandteilen oder Gehaltsspannen. So hat das Bundeskartellamt bereits den Austausch von Wochenend- und Feiertagszuschlägen bzw. Boni mit Bußgeldern geahndet (als Annex zu weitergehenden Kartellabsprachen).
Beim Nachweis einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Wettbewerbsbeschränkung spürbar ist und falls ja, ob sie aufgrund von Effizienzvorteilen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen freigestellt ist. Hierbei geht der EuGH in neuerer Rechtsprechung stets von deren Spürbarkeit aus.
Preisabsprachen im Angebotswettbewerb werden grundsätzlich als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen eingestuft. Ob dieser Grundsatz auf Gehaltsabsprachen im Nachfragewettbewerb eins zu eins übertragbar ist, ist im Einzelfall zu untersuchen. Zu Recht hat der EuGH in einer Entscheidung klargestellt, dass der Begriff der bezweckten Wettbewerbsbeschränkung eng auszulegen ist.
(Quelle: Hogan Lovells, Kartellrechts-Radar Winter 2021/2022)