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EuGH: Konzernhaftung bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen

EuGH: Auch gegenüber Tochtergesellschaft kann wegen eines von Muttergesellschaft begangenen Kartellrechtsverstoßes Schadensersatz geltend gemacht werden

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 6. Oktober 2021 (Az. C-882/19) entschieden, dass das Opfer einer von einer Muttergesellschaft begangenen Zuwiderhandlung gegen das EU-Kartellrecht von deren Tochtergesellschaft Ersatz für die daraus resultierenden Schäden verlangen kann. Dafür muss im vorliegenden Fall das geschädigte Unternehmen nachweisen, dass die beiden Gesellschaften zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung eine wirtschaftliche Einheit gebildet haben.

Zwischen 1997 und 1999 erwarb die spanische Firma Sumal SL zwei Lastkraft- wagen von der Mercedes Benz Trucks Espania SL (MBTE), einer Tochtergesellschaft des Daimler-Konzerns, deren Muttergesellschaft die Daimler AG ist.

Mit Beschluss vom 19. Juli 2016 stellte die Europäische Kommission fest, dass die Daimler AG gegen das EU-Kartellrecht verstoßen hat, indem sie zwischen Januar 1997 und Januar 2011 Absprachen mit 14 weiteren europäischen Lkw-Herstellern über Preise und die Erhöhung der Bruttolistenpreise für Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum getroffen habe.

Im Anschluss an diesen Beschluss erhob die Firma Sumal eine Schadensersatzklage gegen TE, mit der sie die Zahlung von rund 22.000 Euro für den sich aus diesem Kartell ergebenden Schaden forderte. Das zuständige spanische Berufungsgericht legte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH die Frage vor, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Anschluss an einen Beschluss der EU-Kommission, mit dem wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einer Muttergesellschaft festgestellt worden sind, eine Schadensersatzklage gegen deren Tochtergesellschaft erhoben werden kann.

Nach Auffassung des EuGH umfasst der Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV über das Kartellverbot jede Einheit, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung, und bezeichnet somit eine wirtschaftliche Einheit, selbst wenn diese rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen besteht.

Wenn erwiesen ist, dass eine zu einer solchen wirtschaftlichen Einheit gehörende Gesellschaft so gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen hat, dass das „Unternehmen“, zu dem sie gehört, die Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift begangen hat, führen der Begriff „Unternehmen“ und damit der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ von Rechts wegen zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Einheiten, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung die wirtschaftliche Einheit bilden.

Ist ein Verstoß gegen das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV seitens einer Muttergesellschaft festgestellt worden, steht es somit dem Opfer dieser Zuwiderhandlung frei, anstelle der Muttergesellschaft eine von deren Tochtergesellschaften zivilrechtlich haftbar zu machen vorausgesetzt, dass das Opfer nachweist, dass zum einen im Hinblick auf die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen zwischen diesen beiden rechtlichen Einheiten und zum anderen im Hinblick auf das Bestehen eines konkreten Zusammenhangs zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Tochtergesellschaft und dem Gegenstand der Zuwiderhandlung, für die die Muttergesellschaft haftbar gemacht wurde, diese Tochtergesellschaft mit ihrer Muttergesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bildete.

Allerdings muss die betreffende Tochtergesellschaft ihre Verteidigungsrechte sachdienlich ausüben können um nachzuweisen, dass sie nicht zu diesem Unternehmen gehört, und ist, wenn die EU-Kommission keinen Beschluss nach Art. 101 AEUV erlassen hat, auch berechtigt, das Vorliegen der behaupteten Zuwiderhandlung selbst zu bestreiten. Stützt sich jedoch eine Schadensersatz- klage wie im vorliegenden Fall auf die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV durch die EU-Kommission in einem an die Muttergesellschaft der beklagten Tochtergesellschaft gerichteten Beschluss, kann die Tochtergesellschaft das Vorliegen der von der EU-Kommission festgestellten Zuwiderhandlung vor dem nationalen Gericht nicht bestreiten. (Quelle: EuGH-Pressemitteilung Nr. 174/21 vom 6. Oktober 2021)