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Keine Bedeutung der DRV-Entscheidung für Abgrenzung Dienst-/Arbeitsvertrag

Nach dem BAG ist DRV-Entscheidung für Abgrenzung zwischen Dienst- und Arbeitsvertrag nicht maßgeblich

Die Zusammenarbeit mit Solo-Selbstständigen kann je nach vertraglicher und tatsächlicher Ausgestaltung zu dem Problem der abhängigen Beschäftigung führen. Die zur Abgrenzung zum Arbeitsverhältnis gebotene Gesamtbetrachtung stellt die Praxis regelmäßig vor große Herausforderungen. So ist das Abgrenzungsergebnis einer wertenden Entscheidung im Einzelfall vorbehalten, wodurch das Risiko besteht, dass Behörden und Gerichte zu einer von der eigenen Rechtsauffassung abweichenden Beurteilung kommen.

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 30. November 2021 (Az. 9 AZR 145/21) zwar die Wichtigkeit der Gesamtbetrachtung hervorgehoben, spricht der Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, aber jede indizielle Bedeutung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses ab. Damit hat das BAG die Eigenständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit und die eigenständige Bedeutung des § 611 a BGB gegenüber den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zur abhängigen Beschäftigung (§§ 7 ff. SGB IV) betont.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und – inzident – darüber, ob das Rechtsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung als Arbeitsverhältnis im Sinne von § 611 a BGB zu qualifizieren ist.

Der Kläger war für die Beklagte, ein Verlagshaus, seit dem 1. Januar 1990 als Sportfotograf tätig. Am 1. Februar 1995 schlossen die Parteien einen sog. Pauschalistenvertrag, der unter anderem regelte, dass der Kläger eine monatliche Pauschale erhielt und darüber hinaus seine Auslagen abrechnen durfte. Eine solche Honorarvereinbarung wurde ausdrücklich durch § 8 des Tarifvertrags für arbeitnehmerähnliche freie Journalisten und Journalistinnen an Tageszeitungen vom 1. Mai 2019 vorgesehen.

Sofern der Kläger analog fotografierte, entwickelte er die Bilder in den Betriebsräumen der Beklagten. Auch wurde ihm ein E-Mail-Account durch die Beklagte eingerichtet. Auslagen, z.B. für Reisen, rechnete der Kläger auf einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Formular „Honorarerfassungsbeleg – Spesenabrechnung für freie Mitarbeiter“ ab. An den Sitzungen der Sportredaktion nahm er indes nicht regelmäßig teil.

Anfang des Jahres 2018 bot die Beklagte dem Kläger den Abschluss eines „Vertrags für freie Mitarbeiter“ zu veränderten Bedingungen an, den der Kläger am 6. Februar 2018 ablehnte. Mit Schreiben vom 20. Juni 2018 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis fristgerecht zum 30. September 2018.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2020 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass das „Auftragsverhältnis“ der Parteien keine Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung begründe.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihn mit der Beklagten ein Arbeitsverhältnis verbinde, da die Beklagte ihm in sowohl zeitlicher als auch fachlicher Hinsicht Weisungen erteilt habe und er in ihre Arbeitsorganisation eingebunden gewesen sei. Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, dass sie mit dem Kläger ein freier Dienstvertrag verbinde.

Entscheidung

Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. In einer neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass die Feststellung der Deutschen Rentenversicherung Bund für die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses nicht von Bedeutung ist. Die sozialversicherungsrechtliche Behandlung der vereinbarten Vergütung ist für die Frage, welcher Natur das Rechtsverhältnis ist, ohne Belang. Zur Begründung führt das BAG an, dass das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis und das Arbeitsverhältnis nicht identisch sind. In Bezug auf die monatliche Pauschale führt das BAG seine bisherige Rechtsprechung fort, der zufolge dieser keine indizielle Bedeutung beizumessen ist, da nur die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Vergütungszahlung entscheidend sind.

Praxishinweis

Diese Entscheidung verdeutlicht, dass das BAG die  in § 611 a Abs. 1 S. 5 BGB normierte Pflicht, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen, ernst und nicht lediglich floskelhaft versteht. Die Entscheidung verdeutlicht die praktischen Folgen, die daraus erwachsen, dass sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis einerseits und Arbeitsverhältnis andererseits nicht identisch sind. Gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV ist das Arbeitsverhältnis lediglich ein Unterfall der nichtselbstständigen Arbeit, an die der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff geknüpft ist. Aus diesem Grund kann es für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses unerheblich sein, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens zu dem Ergebnis kommt, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Damit verliert die Praxis ein wichtiges Indiz zur Beantwortung der im Einzelfall ggf. schwierigen Frage, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt.

(Quelle: Noerr News vom 2. Juni 2022)