Das Kammergericht Berlin hat mit Beschluss vom 6.12.2021 (Az. 3 Ws 250/21 – 161 AR 84/21) entschieden, dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 83 DSGVO (Verhängung von Geldbußen) im sog. Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vorzulegen.
Dem Verfahren liegt ein Bußgeldbescheid der Berliner Datenschutzbeauftragten i.H.v. 14,5 Mio. Euro gegen ein börsennotiertes Immobilienunternehmen zugrunde. Das Landgericht Berlin hatte das Verfahren mit Beschluss vom 18. Februar 2021 (Az. 526 OWi LG 1/20) wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Das Landgericht war der Ansicht, dass die Verhängung von Bußgeldern gegen Unternehmen wegen Datenschutzverstößen nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO nur unter den Voraussetzungen des § 30 OWiG in Betracht kommt. Dies setzt insbesondere die Feststellung einer rechtswidrig und vorwerfbar begangenen Anknüpfungstat einer Leitungsperson des Unternehmens voraus. Das LG Berlin hat sich damit ausdrücklich gegen eine Entscheidung des LG Bonn vom 11. November 2020 (Az. 29 OWi 1/20) gestellt, nach der Art. 83 DSGVO eine unmittelbare bußgeldrechtliche Unternehmenshaftung für Datenschutzverstöße legitimiere. Nachdem die Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Entscheidung des LG Berlin sofortige Beschwerde eingelegt hatte, war nun das Kammergericht Berlin zur Entscheidung berufen.
Das KG Berlin legt dem EuGH – zusammengefasst – die Frage vor, ob Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO dahin auszulegen sei, dass es den den Art. 101,102 AEUV zugeordneten funktionalen Unternehmensbegriff und das Funktionsträgerprinzip in das innerstaatliche Recht mit der Folge inkorporiere, dass unter Erweiterung des dem § 30 OWiG zugrunde liegenden Rechtsträgerprinzips ein Buß- geldverfahren unmittelbar gegen ein Unternehmen geführt werden kann und dessen Bebußung nicht der Feststellung einer durch eine natürliche Person begangenen Ordnungswidrigkeit bedarf. Hierbei lässt das KG Berlin deutlich durchblicken, dass es der Ansicht zuneigt, § 30 OWiG sei nicht anwendbar und es bestehe eine direkte Unternehmenshaftung nach Art. 83 DSGVO. Bejahendenfalls möge der EuGH die Frage beantworten, ob Art. 83 DSGVO dahin auszulegen sei, dass das Unternehmen den durch einen Mitarbeiter vermittelten Verstoß schuldhaft begangen haben muss, oder ob für eine Bebußung des Unternehmens im Grundsatz bereits ein ihm zuzuordnender objektiver Pflichtenverstoß ausreiche.
Bis zur Entscheidung durch den EuGH ist das Verfahren vor dem KG Berlin ausgesetzt.
(Quelle: Legal Tribune Online vom 21. Januar 2022)