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Arbeitszeitbetrug – Mitarbeiterüberwachung durch Detektive nur anlassbezogen

LAG Berlin-Brandenburg erklärt Detektivüberwachung „ins Blaue hinein“ für unzulässig

Ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 11. September 2020 (Az. 9 Sa 584/20) ist mit folgenden Leitsätzen überschrieben:

  1. Im Falle einer Beobachtung eines Arbeitnehmers durch Detektive an mehreren Tagen nebst Fertigung von Fotos ohne einen auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und ohne Ausschöpfung anderer verfügbarer Erkenntnisquellen vor Anordnung der Überwachung ergibt sich aus einer hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.
  2. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist nach § 26 Abs. 1 S. 1 Bundesdatenschutzgesetz unzulässig.
  3. Ein Informationsinteresse bezüglich des Verhaltens eines Arbeitnehmers oder Zweifel, ob jemand weiterhin so gut wie möglich arbeitet, reichen nicht aus, um eine Überwachung durch eine Detektei zu rechtfertigen.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung, einen Auflösungsantrag sowie die Erstattung von Detektivkosten i.H.v. 26.200 €. Dem gekündigten 58-jährigen Arbeitnehmer, der seit dem 1. Mai 1990 zuletzt als Vertriebsleiter der Beklagten beschäftigt war mit einem Jahresgehalt von 103.600 €, wurde ein Arbeitszeitbetrug sowie der Betrug über eingereichte Spesenabrechnungen vorgeworfen. Die Vorwürfe stützt die Arbeitgeberin vornehmlich auf Erkenntnisse, die sie durch die Überwachung des Arbeitnehmers durch eine Detektei gewonnen hatte. Nach dem Dienstwagenüberlassungsvertrag war es dem Kläger gestattet, das Fahrzeug Familienangehörigen zu überlassen.

Die Detektei hatte im Auftrag der Arbeitgeberin den Kläger u. a. am 2. April 2019 beobachtet. Nach dem Beobachtungsbericht verließ zunächst die Ehefrau des Klägers das Haus und wurde von Mitarbeitern der Detektei bei ihrer Fahrt mit dem Firmenwagen und dem Aufsuchen einer Fußpflegepraxis beobachtet. Der Kläger selbst verließ das Haus mit dem Firmenwagen um 11:58 Uhr, tätigte in der Folgezeit diverse Einkäufe, entlud Altglas, betankte und reinigte den Wagen, betrat um 13:14 Uhr eine Metzgerei und aß dort zu Mittag. Die Detektei erstellte unter Einsatz von vier Mitarbeitern eine umfassende Fotodokumentation.

Der Kläger reichte im Mai seine Reisekostenabrechnung für April 2019 ein. Für den 2. April 2019 ist darin angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 17:30 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 9:30, Zweck der Reise: Finsterwalde Projektbesprechung, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 €, Verpflegung 5,30 €.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2019 erklärte die Beklagte die außerordentliche, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Kündigung. Er meint, die Überwachung seiner Person und sogar seiner Ehefrau durch insgesamt vier Detektive nebst Erstellung zahlreicher Fotos stelle eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Überwachung lägen nicht vor, da diese ins Blaue hinein erfolgt sei.

Sowohl das ArbG Berlin als auch das LAG Berlin-Brandenburg stellten fest, dass sowohl die fristlose, wie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. Mai 2019 ungerechtfertigt sind.

Zwar sind die Angaben des Klägers für den 2. April 2019 in der Reisekostenabrechnung grundsätzlich eine erhebliche Pflichtverletzung. Die Feststellungen der Detektei und der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten sind allerdings nach dem LAG nicht verwertbar. Es ist davon auszugehen, dass sich ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben kann. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG gegebenen Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung muss das Gericht prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist.

Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden. Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes konkretisieren die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung und des Schutzes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie am eigenen Bild. Deshalb liegt nur bei einer nach den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes zulässigen Datenerhebung eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild nicht vor.

Maßgeblich ist nach Auffassung des LAG insoweit die Regelung in § 26 Abs. 1 BDSG, die eine spezifische Vorschrift im Sinne von Art. 88 DSGVO darstellt. Das Observieren eines Arbeitnehmers durch einen bzw. mehrere Detektive ist eine Form der Datenerhebung. In einer solchen Datenerhebung liegt zugleich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Danach muss im Fall einer (verdeckten) Videoüberwachung ein auf konkrete Tatsachen begründeter Verdacht für das Vorliegen einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist nach § 26 Abs. 1 BDSG unzulässig.

Einen solch erforderlichen, auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung vor Anordnung der Überwachung konnte das LAG vorliegend nicht feststellen. Damit war die Datenerhebung in unzulässiger Art und Weise erfolgt, woraus wiederum ein Verbot der Verwertung dieser heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnisse folgt. Eine Verwertung wäre mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht vereinbar, weil hierfür vom Gericht auf die Berichte der Detektei zurückgegriffen werden müsste.

(Quelle: CCZ 5/2022 S. 158 ff.)