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Auslegung Art. 9 DSGVO

EuGH legt Art. 9 DSGVO weit aus

Die DSGVO sieht für bestimmte Datenkategorien spezielle Regelungen vor. Dies betrifft auch die sog. besonderen Kategorien personenbezogener Daten, deren Verarbeitung durch Art. 9 DSGVO gesondert geregelt ist. Der Begriff der besonderen Kategorien personenbezogener Daten erfasst dabei sensible Informationen, wie z.B. Daten zur ethnischen Herkunft, der politischen Meinung oder der religiösen Überzeugung einer Person. Auch Gesundheitsdaten oder Daten zur sexuellen Orientierung zählen zu den sog. „Art. 9-Daten“.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 1. August 2022 (Az. Rs. C-184/20) zum Anwendungsbereich des Art. 9 DSGVO Stellung genommen. Dem Gerichtshof wurde die praxisrelevante Frage vorgelegt, ob auch Daten, aus denen mittels „gedanklicher Kombination oder Ableitung“ auf die sexuelle Orientierung einer Person geschlossen werden kann, unter die besonderen Kategorien der personenbezogenen Daten nach Art. 9 DSGVO fallen.

Hintergrund des EuGH-Urteils stellt ein litauisches Gesetz zur Transparenz und Korruptionsbekämpfung dar, das die Leiter von Behörden dazu verpflichtet, eine Erklärung über private Interessen gegenüber einer Ethikkommission abzugeben. Nach erfolgter Abgabe wird diese Erklärung auf der Webseite der Ethikkommission veröffentlicht. Ein Leiter einer litauischen Umweltschutzorganisation sah sich durch die Abgabe dieser Erklärung in seinem Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt und klagte vor dem zuständigen Regionalverwaltungsgericht in Vilnius. Dieses Gericht legte dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH sollte sich unter anderem damit auseinandersetzen, ob Art. 9 DSGVO dahingehend auszulegen sei, dass die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten, die geeignet sind, die politische Meinung, die Gewerkschaftszugehörigkeit oder die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Im vorliegenden Fall war die erklärungspflichtige Person nämlich dazu verpflichtet, den vollständigen Namen des Ehegatten, Partners oder Lebensgefährten anzugeben. Zwar stellt der Name an sich noch kein Art. 9-Kriterium dar, jedoch kann mit dieser Information regelmäßig auf das Geschlecht des Partners und somit auf die sexuelle Orientierung der erklärungspflichtigen Personen geschlossen werden. Ob ein solcher indirekter Rückschluss durch eine „gedankliche Kombination oder Ableitung“ bereits ausreicht, um den Anwendungsbereich des Art. 9 DSGVO zu eröffnen, war Gegenstand der Prüfung des EuGH.

Der EuGH nimmt in seinem Urteil eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs des Art. 9 DSGVO vor und kommt zu dem Ergebnis, dass die Veröffentlichung von personenbezogenen Daten, die geeignet sind, die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person indirekt zu offenbaren, eine Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Art. 9 DSGVO darstellt.

Der EuGH hat mit diesem Urteil und der sehr weiten Auslegung des Art. 9 DSGVO in der Fachwelt für Aufsehen und reichlich Diskussionen gesorgt. Ob die Entscheidung letztendlich tatsächlich dahingehend auszulegen sein wird, dass nun jeder indirekte Bezug auf ein sensibles Datum ausreicht, um den Anwendungsbereich des Art. 9 DSGVO zu eröffnen, bleibt abzuwarten.