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BGH-Urteil: Vermeidbarkeit des sog. Verbotsirrtums bei unternehmerischer Tätigkeit

BGH präzisiert für einen sog. unvermeidbaren Verbotsirrtum bestehende besondere Erkundigungs- und Aktualisierungspflichten für Unternehmer

Wer bei der Begehung einer Tat einem sog. „unvermeidbaren Verbotsirrtum“ unterliegt, handelt gemäß § 17 S. 1 StGB ohne Schuld und macht sich folglich nicht strafbar. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.11.2020 (Az.: 2 StR 245/20) die Anforderungen an das Vorliegen eines solchen unvermeidbaren Verbotsirrtums gerade für Unternehmer präzisiert.

Ein Verbotsirrtum kommt bereits grundsätzlich nur in Betracht, wenn dem Täter die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Der Täter braucht die Strafbarkeit seines Vorgehens dafür nicht zu kennen, es genügt, dass er wusste oder hätte erkennen können, Unrecht zu tun. Ein solcher Verbotsirrtum ist „unvermeidbar“, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens und unter Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Verbleiben Zweifel, ob das Verhalten verboten ist, besteht eine Erkundigungspflicht. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein. Eine Auskunft ist nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei Auskunftspersonen ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten.

Bereits mit Urteil vom 17.12.2019 (Az.: 1 StR 364/18) hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass insoweit nicht jeder Rechtsrat eines beliebigen Rechtsanwalts ausreichend sei. Maßgebend sei vielmehr, ob der Rechtsrat nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen sei regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Mit dem Urteil vom 18.11.2020 hat der BGH nun klargestellt, dass für „geschäftlich Tätige“, also Unternehmer, besondere Erkundigungspflichten gelten.

Hierzu der BGH wörtlich: „Ist der Täter geschäftlich tätig, gelten für ihn besondere Erkundigungspflichten. In der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Ordnungswidrigkeitenrecht ist seit langem anerkannt, dass sich geschäftlich Tätige vor Aufnahme der Tätigkeit über die in ihrem spezifischen Geschäftsfeld geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften zu informieren und auch wegen zwischenzeitlicher Änderungen der Rechtslage stets auf dem Laufenden zu halten haben. Diese Erkundigungspflichten enthalten auch eine „Pflicht zur Aktualisierung“ im Hinblick auf strafrechtlich relevante Rechtsänderungen und beziehen sich damit auf diejenigen Tatbestände des Kernstrafrechts, deren Schutzgüter nach allgemeiner Lebenserfahrung durch die spezifische Berufsausübung in besonderer Weise gefährdet werden können.“

Fazit: Diese gesteigerten Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums müssen Geschäftsleute und Unternehmen im Rahmen ihrer Compliance-Prozesse und -Strukturen berücksichtigen. Auch qualifizierte Gutachten sind damit sukzessive auf das Fortbestehen ihrer Richtigkeit zu überprüfen; ein „Ausruhen“ auf einer einmal eingeholten Expertise ist damit nicht mehr möglich.