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EU-Lieferketten-Richtlinie nun doch verabschiedet

Trotz Enthaltung Deutschlands wurde Kompromissvorschlag zur EU-Lieferketten-Richtlinie nun doch angenommen

Der Weg für die EU-Lieferketten-Richtlinie ist nach wochenlangem Ringen frei. Deutschland wurde überstimmt. Die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten nahmen am vergangenen Freitag (15. März) in Brüssel einen neuen Kompromissvorschlag an. Die EU will mit dem neuen Gesetz sicherstellen, dass bei der Produktion von in Europa verkauften Waren auch in Drittstaaten keine Kinderarbeit zum Einsatz kommt oder die Umwelt verschmutzt wird. Den Ausschlag für die nötige Mehrheit gab Italien, das das Gesetz gemeinsam mit einer Reihe anderer Staaten, allen voran Deutschland, lange blockiert hatte. Eigentlich hatten sich Unterhändler von Europaparlament und Ministerrat schon im Dezember 2023 auf eine gemeinsame Linie verständigt.

Deutschland enthielt sich, was faktisch wie ein Nein zählt. Die FDP hatte Anfang des Jahres ihre Unterstützung für das EU-Gesetz zurückgezogen und die Ampelkoalition so zur Enthaltung gezwungen. Auch Bulgarien, Malta, Ungarn und eine Reihe anderer Staaten enthielten sich. Österreich und Tschechien prüfen noch, ob sie am Ende doch noch zustimmen. Unklar war zunächst, ob Schweden als einziges Land im finalen Votum mit Nein abstimmen wird.

Die belgische EU-Ratspräsidentschaft, die seit Anfang des Jahres die Geschäfte im Ministerrat führt, hatte den Gesetzesvorschlag in den vergangenen Wochen immer wieder angepasst, um die Gegner doch noch zur Zustimmung zu bewegen. Das FDP-geführte Bundesjustizministerium hatte sich zwar frühzeitig festgelegt, dem Gesetz auf keinen Fall zuzustimmen und einen neuen Anlauf in der nächsten Legislaturperiode gefordert. Die Belgier setzten aber darauf, Italien überzeugen zu können und so die nötige Mehrheit sicherzustellen. Dafür müssen im Ministerrat 15 der 27 Staaten zustimmen, die 65 % der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren.

Im Gespräch waren dabei immer auch Koppelgeschäfte mit anderen Gesetzesvorhaben, etwa Zugeständnisse an Italien bei der dort kritisch beäugten Verpackungsverordnung. Die Belgier hatten tatsächlich zum Freitag Änderungen des vor einigen Tagen von Unterhändlern des EU-Parlaments und Ministerrats erzielten Kompromisses vorgeschlagen, um den Italienern entgegenzukommen. Auch Deutschland stimmte den Verpackungsregeln am Freitag zu. Auch diese wollte die FDP zunächst blockieren. Am Ende votierten nur Malta und Österreich gegen das Gesetz, das vor allem Plastikmüll verringern soll.

Vor allem aber haben die Belgier den Vorschlag zur EU-Lieferketten-Richtlinie verglichen mit dem im Dezember ausgehandelten Kompromisstext stark abgeschwächt. Auch viele der Einwände der FDP wurden damit berücksichtigt. Das betrifft allen voran die Schwelle, von der an Unternehmen unter die neuen Regeln fallen. Sie liegt nun nicht mehr bei 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 150 Mio. Euro, sondern bei 1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 450 Mio. Euro. Gelten sollen diese Schwellen nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren, also Ende des Jahrzehnts. Die für Hochrisikosektoren wie Textil oder Förderung von Rohstoffen vorgesehenen noch niedrigeren Schwellen entfallen komplett. (Damit ist auch die ursprüngliche Absicht obsolet, die Baubranche als Hochrisikosektor einzustufen mit der Folge, dass Bauunternehmen bereits mit 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von 40 Mio. Euro in den Anwendungsbereich der Richtlinie gefallen wären).

Die Zahl der deutschen Unternehmen, die unter die Richtlinie fallen, ist damit geringer als beim deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das zieht die Schwelle zwar ebenfalls bei 1.000 Mitarbeitern, kennt jedoch keine Umsatzschwelle. Deutschland muss sein nationales Gesetz an die EU-Vorgaben anpassen, sobald diese endgültig verabschiedet sind.

Anders als im deutschen Gesetz müssen die Unternehmen aber ihre gesamte Lieferkette – auch die Zulieferer der Zulieferer und deren Zulieferer – auf Verstöße gegen die Menschen- und Arbeitsrechte und den Umweltschutz durchforsten. Auch die Kontrolle von Umweltverstößen ist verglichen mit dem deutschen Gesetz strenger.

Die Belastung der Kontrollen wird indes dadurch gemindert, dass ein risikobasierter Ansatz gilt. Sitzt ein Zulieferer etwa in Dänemark, ist faktisch keine Prüfung nötig, anders sieht das im Kongo aus. Ursprünglich sollten die Kontrollen auch „Downstream“ die Absatzkette bis hin zur Abfallentsorgung überprüfen. Das gilt nun nur noch für die direkten Abnehmer. Gestrichen wurde auf Druck Frankreichs, dass die Entlohnung von Spitzenmanagern daran geknüpft wird, dass Unternehmen Klimaschutzpläne erstellen. Auch das hatte die FDP kritisiert. Konzerne müssen solche Pläne aber nach wie vor erstellen. Ausgeweitet wird verglichen mit dem deutschen Lieferkettengesetz die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen, also die Möglichkeit von Opfern von Verstößen gegen Menschenrechte oder Umweltschutzauflagen zu klagen. Dafür gilt nun das deutsche Schadenersatzrecht und nicht mehr das des Landes, in dem der Verstoß geschieht. Unternehmen haften aber anders als von der Kommission vorgeschlagen nur, wenn sie ihre Pflichten zur Kontrolle der Lieferketten vorsätzlich oder fahrlässig vernachlässigt haben. Klagen können nach dem belgischen Kompromiss auch Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen, aber nur wenn sie das direkt im Namen von Opfern tun.

Die Einigung muss nun noch vom Ministerrat angenommen werden. Das dürfte auf einem der nächsten Treffen ohne weitere Aussprache geschehen. Zustimmen muss auch noch das Europaparlament, hinter dessen Vorstellungen der nun vereinbarte Text weit zurückbleibt. Dennoch dürften die Abgeordneten den Text vor den Anfang Juni anstehenden Europawahlen annehmen.

(FAZ.Net vom 15. März 2024)