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Gericht lehnt Hauptunternehmer-Haftung bei erfolgreicher Exkulpation ab

Nachweis der Zuverlässigkeit von Nachunternehmern durch Vorlage qualifizierter Unbedenklichkeitsbescheinigung

Ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 18. April 2023 (Az. L 9 U 619/22) lässt sich mit folgenden redaktionellen Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Auftraggeber im Baugewerbe haften für die Erfüllung der Zahlungspflichten von Nachunternehmern wie ein selbstschuldnerischer Bürge.
  2. Die Haftung entfällt, wenn der Auftraggeber nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfüllt (sog. Exkulpation).
  3. Der Nachweis kann grundsätzlich ohne weitere Prüfung durch Vorlage einer qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigung erbracht werden.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids. Das klagende Bauunternehmen beauftragte von Juni 2017 bis Februar 2018 einen Nachunternehmer mit der Ausführung verschiedener Bauleistungen. Der Beklagte forderte erfolglos vom Nachunternehmer für das Beitragsjahr 2017 Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung. Nach der Insolvenz des Nachunternehmers forderte der Beklagte das Bauunternehmen als Generalunternehmer zur Zahlung der rückständigen Beiträge auf. Das Bauunternehmen verteidigte sich dagegen u. a. damit, dass ihm für die gesamte Zeit der Beauftragung qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen bezüglich des Nachunternehmers vorgelegen hätten. Nach erfolglosem Widerspruch bestätigte das SG Freiburg die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids in Form des Widerspruchsbescheids. Hiergegen wandte sich das Bauunternehmen.

Entscheidung

Das LSG Baden-Württemberg gibt dem Bauunternehmen Recht. Das SG Freiburg habe zu Unrecht entschieden, dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Beitragshaftung erfüllt seien und sich das Bauunternehmen nicht exkulpieren könne. Vielmehr könne das Bauunternehmen nachweisen, dass es ohne eigenes Verschulden davon habe ausgehen können, dass der Nachunternehmer seine Zahlungspflicht erfülle. Den Nachweis dafür erbringe das beweis- belastete Bauunternehmen in Bezug auf die Beiträge zur Unfallversicherung durch Vorlage der qualifizierten Unbedenklichkeitsbescheinigungen des zuständigen Unfallversicherungsträgers. Die nahezu lückenlos vorgelegten Bescheinigungen enthielten insbesondere die eingetragenen Unternehmensbestandteile und die zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmens sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge. Das Bauunternehmen habe sich auf den Inhalt der Unbedenklichkeitsbescheinigungen verlassen können. Es habe nicht etwa – wie vom Beklagten gefordert – eine materielle Prüfung vornehmen müssen. Dem Bauunternehmen sei auch nicht zuzumuten zu prognostizieren, ob sein Nachunternehmer etwa in Bezug auf bevorstehende hohe Auftragssummen zukünftig in der Lage sein werde, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Die Einführung der Exkulpationsmöglichkeit durch die Vorlage der Unbedenklichkeitsbescheinigung diene gerade der Rechtssicherheit.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Sollte sie vom BSG bestätigt werden, würde sie Generalunternehmern mehr Sicherheit bezüglich des Einsatzes von Nachunternehmern bringen. Allein die Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen würde grundsätzlich ausreichend Schutz vor Beitragsforderungen bieten. Eine darüberhinausgehende, nur schwer zu fassende bzw. kaum rechtssicher abgrenzbare Plausibilitätskontrolle, wie sie in Rechtsprechung und Literatur vielfach gefordert wird, entfiele dann. Die Entscheidung des BSG kann mit Spannung erwartet werden.

(Quelle: IBR-Werkstatt-Beitrag vom 17. Juli 2023)