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Höhe des wegen Kartellabsprache geltend gemachten Schadensersatzanspruchs

BGH: Erfahrungssatz preiserhöhender Wirkung von Kartellen gilt auch gegenüber Tochtergesellschaften

Der BGH hat mit vor kurzem bekannt gewordenem Urteil vom 28. Juni 2022 (Az. KZR 46/20) folgenden Leitsatz aufgestellt:

Der zugunsten von Abnehmern eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitende Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, gilt auch dann, wenn die Ware nicht von der am Kartell beteiligten Muttergesellschaft, sondern von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft erworben wird.

Sachverhalt:

Mehrere Hersteller von Stahl-Strahlmitteln hatten abgesprochen, wie sie bestimmte Zuschläge auf ihre Verkaufspreise berechnen. Die EU-Kommission deckte diese Kartellabsprache auf und verhängte Bußgelder gegen die beteiligten Unternehmen. Eine deutsche Stahlgießerei verlangt von einem an diesem Kartell beteiligten Hersteller Schadensersatz. Sie hatte jahrelang von einer Tochtergesellschaft dieses Herstellers Stahl-Strahlmittel bezogen.

Entscheidung:

Grundlage des in dem Leitsatz wiedergegebenen Erfahrungssatzes ist die wirtschaftliche Erfahrung, dass die Gründung und Durchführung eines Kartells regelmäßig zu einem Mehrerlös der daran beteiligten Unternehmen führt. Durch Kartellabsprachen sind die beteiligten Unternehmen jedenfalls in einem gewissen Umfang der Notwendigkeit enthoben, sich im Wettbewerb zur Erlangung von Aufträgen gegen konkurrierende Unternehmen durchzusetzen, und Unternehmen, die sich aufgrund solcher Absprachen nicht dem Wettbewerb, insbesondere dem Preiswettbewerb, stellen müssen, werden im Regelfall keinen Anlass sehen, bestehende Preissenkungsspielräume zu nutzen. Die Anwendung des Erfahrungssatzes auf die Preise nachfolgender Marktstufen ist bereits dann gerechtfertigt, wenn keine klare Trennung der verschiedenen Marktstufen vorliegt. Dies gilt erst recht auch dann, wenn der Erwerb von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft eines am Kartell beteiligten Unternehmens erfolgt.

Eine Tochtergesellschaft gehört zur selben wirtschaftlichen Einheit wie die Muttergesellschaft, wenn sie trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. Das Marktverhalten einer zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft unterscheidet sich danach regelmäßig nicht von dem der Muttergesellschaft. Dies rechtfertigt die Anwendung des Erfahrungssatzes über die preissteigernde Wirkung von Kartellen auch in dem Fall, in dem der Abnehmer nicht von der am Kartell beteiligten Muttergesellschaft, sondern von der zur selben wirtschaftlichen Einheit gehörenden Tochtergesellschaft erwirbt.