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Kartellrecht: Mögliche Maßnahmen gegen den Rückgang von Kronzeugenanträgen

Wegen Rückgangs von Kronzeugenanträgen prüft Bundeskartellamt zukünftige Privilegierungsmöglichkeiten bei Kartellschadensersatzprozessen

Weltweit verzeichnen Kartellbehörden seit geraumer Zeit einen Rückgang der eingehenden Kronzeugenanträge. Hiervon ist auch das Bundeskartellamt betroffen. Im Jahr 2020 erreichten das Bundeskartellamt lediglich 13 Kronzeugenanträge, im Jahr 2013 waren es 64. Da erfahrungsgemäß rund 50 % der Kartellverfahren auf einen Kronzeugenantrag zurückgehen, sieht das Bundeskartellamt diese Entwicklung naturgemäß sehr kritisch.

Seit einiger Zeit ist daher zu beobachten, dass vor allem der Chef des Bundeskartellamts Andreas Mundt sowohl in Zeitungsinterviews als auch im Rahmen von Fachtagungen für ein erweitertes „Kronzeugenprivileg“ wirbt. Danach sollen Kronzeugen, d. h. die in einem bestimmten Kartellfall ersten die Tat offenlegenden Hinweisgeber nicht nur – wie bisher – Immunität gegenüber den hoheitlich verhängten Kartellbußgeldern erhalten, sondern auch von den Kartellschadensersatzansprüchen Geschädigter ausgenommen werden. Hiervon erhofft man sich eine gesteigerte Attraktivität des Kronzeugenprogramms. Das Bundeskartellamt hat nämlich den massiven Anstieg von Kartellschadensersatz- klagen in den letzten Jahren – wohl zu Recht – als wesentlichen Treiber für den Rückgang der Kronzeugenanträge ausgemacht. Teilweise in die Millionen gehende Kartellschadensersatzklagen können die finanziellen Risiken eines Kartellbußgelds weit übersteigen. Folge: Verschweigen kann wieder rational sein. Umfassendere Privilegien für Kronzeugen, die auch den Kartellschadensersatz einbeziehen, könnten hier Abhilfe schaffen.

Das Bundeskartellamt arbeitet derzeit intern an Vorschlägen, um einen solchen Ansatz umzusetzen. Ohne gesetzliche Änderung der seit Januar 2021 förmlich in das GWB überführten „Bonusbekanntmachung“ ginge dies freilich nicht und welche Lösung hierfür rechtspolitisch vertretbar gehalten wird, ist derzeit noch völlig offen. Es scheint sich aber EU-weit ein entsprechender Konsens herauszubilden. So blickt z.B. die niederländische Kartellbehörde ganz ähnlich auf das Problem und auch hochrangige Vertreter der EU-Kommission haben in den letzten Wochen angedeutet, dass Wege zur „Effizienzsteigerung“ des EU-Kronzeugenprogramms erwogen werden – einschließlich einer Befreiung des Kronzeugen von Schadensersatzansprüchen Dritter. (Quelle: Hogan Lovells Kartellrechts-Radar Herbst 2021)