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Kündigungsfristbeginn bei Compliance-Untersuchungen

Zwei Wochen-Frist für außerordentliche Kündigung beginnt erst nach Abschluss umfangreicher Compliance-Untersuchungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit jetzt bekannt gewordenem Urteil vom 5. Mai 2022 (Az. 2 AZR 483/21) entschieden, dass bei großen Compliance-Untersuchungen die Frist zur Erklärung der außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB erst mit dem abschließenden Bericht beginnt. Eine Verzögerung des Zugangs des Berichts und damit Verhinderung des Fristbeginns ist nur dann beachtlich, wenn die Kenntnisnahme treuwidrig nach hinten geschoben wurde.

Im zu entscheidenden Fall lagen dem Arbeitgeber, ein Unternehmen, das sowohl Aufträge für das Bundesverteidigungsministerium als auch die Bundes- wehr annahm und durchführte, Anhaltspunkte für Verfehlungen des Vertriebsleiters der Defence-Abteilung vor. Es bestand der Verdacht, dass der Vertriebsleiter ein von den Auftraggebern als Verschlusssache deklariertes Papier über ein zukünftiges Beschaffungsvorhaben des Verteidigungsministeriums an Kollegen weitergab. Dieses Papier wurde zuvor von dem Auftraggeber zur Vorbereitung des Beschaffungsauftrages erstellt und dem Vertriebsleiter überreicht.

Als die Firmenleitung über die Compliance-Abteilung davon erfuhr, bildete sie ein Compliance-Team und beauftragte eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Untersuchung des Vorfalls. Gemeinsam mit dem Compliance-Team ermittelten die Rechtsanwälte, dass hier insgesamt 89 Personen involviert waren. Nach etwa elf Monaten erstellte die Rechtsanwaltskanzlei einen vorläufigen Bericht für die Geschäftsführung. Zehn Tage nach Erhalt dieses Berichts kündigte der Geschäftsführer dem Vertriebsleiter außerordentlich. Dagegen erhob dieser erfolgreich Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Ulm. Das Urteil wurde auch vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 3. November 2021 (siehe EMB-Newsletter 6/2022) bestätigt. Nun aber hat das BAG gegenteilig entschieden.

Nach Auffassung des BAG hat der Arbeitgeber im vorliegenden Fall die zweiwöchige Ausschlussfrist zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB eingehalten. Diese habe erst mit dem Zugang des Zwischenberichts der Rechtsanwaltskanzlei an den Geschäftsführer begonnen. Denn erst dieser Untersuchungsbericht habe alle Tatsachen enthalten, die für die Bewertung der Pflichtverletzung und die Herausarbeitung der Beteiligung der 89 Personen wichtig waren.

Auch dass der Leiter des Compliance-Teams regelmäßig über die jüngsten Ermittlungsergebnisse informiert wurde, ändere daran nichts. Es sei bereits nicht festgestellt worden, wann und welche Ergebnisse ihm konkret bekannt waren. Aber selbst, wenn er bereits vor dem Berichtszugang vollständig informiert gewesen wäre, wäre dieser Umstand unerheblich. Denn es komme einzig und allein auf die Kenntnis eines kündigungsberechtigten Mitglieds des Unternehmens – hier die Geschäftsführung – an.

Etwas anderes gelte nur im Falle einer treuwidrigen Verzögerung der Kenntnisnahme der kündigungsrelevanten Tatsachen nach § 242 BGB. So ergäben die Feststellungen des landesarbeitsgerichtlichen Urteils keine Anhaltspunkte für eine zielgerichtete Vereitelung des Informationsflusses hin zur Geschäftsführung. Selbst wenn man von einem Organisationsverschulden ausginge, begründete das noch keine unzulässige Behinderung, sondern höchstens grobe Fahrlässigkeit. Im Übrigen spreche der Umstand, dass die interne Untersuchung auf Initiative des Compliance-Teams unterbrochen wurde, um die bislang gewonnenen Erkenntnisse in einem Zwischenbericht für die Geschäftsführung aufzuarbeiten und diese vollumfänglich zu informieren, gegen eine treuwidrige Behinderung.

Praxishinweis: Für den Arbeitgeber hat das BAG erfreulich klargestellt, dass die Beauftragung der eigenen Compliance-Abteilung (oder anderer externer Dritte, wie z.B. Rechtsanwälte) mit der Durchführung einer internen Ermittlung regelmäßig nicht die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 S.1 BGB in Gang setzt. Um sicherzustellen, dass etwaige Kündigungsfristen nicht verwirkt werden, muss im Rahmen der Durchführung von Compliance-Ermittlungen konsequent darauf geachtet werden, wer und vor allem zu welchem Zeitpunkt über welche Tatsachen informiert wird. Das BAG hat in dieser Entscheidung ebenfalls klargestellt, dass Ermittlungen, die nicht (mehr) der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße dienen und mit denen lediglich Präventionsziele verfolgt werden, grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen dienen. In diesen Fällen kommt ein früherer Beginn der 2-Wochen-Frist in Betracht. Deshalb sollten sämtliche Besprechungen ebenso wie spontane Unterredungen präzise dokumentiert werden.

Die dargestellten Entscheidungsgründe werden sich nicht per se auf einfach gelagerte Sachverhalte mit lediglich einem Beteiligten übertragen lassen.

(Quelle: Heuking Kühn Lüer Wojtek, Update Compliance vom 28.9.2022)