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LG Saarbrücken: Keine Organhaftung für von EU-Kommission gegen Unternehmen verhängte Kartellgeldbußen

LG Saarbrücken verneint Organhaftung für von der EU-Kommission gegen Unternehmen verhängte Kartellgeldbußen.

Im Jahr 2010 verhängte die EU-Kommission gegen Villeroy & Boch eine Kartellgeldbuße über 70 Mio. Euro. Nunmehr scheiterte das Unternehmen mit dem Versuch, sich das Geld von ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern zurückzuholen. Das LG Saarbrücken hat mit Urteil vom 15.9.2020 (Az.: 7 HKO 6/16 – veröffentlicht z.B. in CCZ 1/2021 S. 50) eine Klage gegen den früheren Vorstandschef W.v.B abgewiesen. Mit Schadensersatzansprüchen von über 70 Mio. Euro ist es einer der größten bisher bekannten Fälle, bei dem es um die Regressfrage einer EU-Kartellgeldbuße in Deutschland geht. Neben den Bußgeldern geht es auch um Anwaltskosten.

Beklagter war unter anderem W.v.B., der bis 2007 zehn Jahre Vorstandschef und dann bis 2017 Aufsichtsratsmitglied war. Der Vorwurf des Unternehmens geht dahin, dass W.v.B. und weitere Vorstandsmitglieder Präventions- und Aufsichtspflichten verletzt hätten, unter anderem weil sie es versäumt haben, im Unternehmen ein Compliance-System zu schaffen, das Kartellverstöße verhindert.

Die zuständige Handelskammer des LG Saarbrücken hat Schadensersatzansprüche verneint. Zum einen seien die Ansprüche verjährt, des Weiteren gebe es wohl auch keine materiellen Ansprüche, weil EU-Geldbußen nicht regressfähig seien. Das Gericht folgt dem klagenden Unternehmen in seiner Argumentation, dass die Verjährungsfrist mit der Entstehung des Schadens begonnen habe, also mit dem Bußgeldbescheid von 2010, nicht. Es folgt vielmehr der Argumentation des Beklagten, wonach bereits die erste Rechnung der beauftragten Anwaltskanzlei im Zusammenhang mit der Untersuchung der EU-Kommission vom November 2005 für den Verjährungsbeginn entscheidend sei. Denn diese Rechnung stelle bereits einen ersten relevanten Teilschaden im Sinne der Schadenseinheit dar und sei damit maßgeblich für den Beginn der Verjährung.

Nach Auffassung des Gerichts sei es unabhängig von der Verjährungsfrage nicht möglich, frühere Organvertreter für Kartellbußen haftbar zu machen. Die europarechtliche Absicht des Bußgeldbescheids richte sich gegen Unternehmen, nicht gegen Einzelpersonen. Zwar sei das Gesellschaftsrecht in Bezug auf die Haftung von Unternehmensvorständen nationales Recht, dieses dürfe aber nicht dem Europarecht widersprechen. Insofern könne die Geldbuße nicht abgewälzt werden, zumal dann eine weitere Abwälzung auf die D&O-Versicherungen im Raum stünde.

Zu einer ähnlichen Einschätzung im Zusammenhang mit Bußgeldern aus dem Komplex „Schienenkartell“ war zuletzt das Landesarbeitsgericht Düsseldorf gekommen und hatte die Haftung von Leitungsorganen für Kartellgeldbußen im Innenverhältnis grundsätzlich abgelehnt. Die Entscheidung wurde dann allerdings vom Bundesarbeitsgericht wegen fehlender Eröffnung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten aufgehoben. Die Sache liegt nunmehr der Kammer für Kartellsachen des LG Dortmund zur Entscheidung vor.