ZUSATZ INFORMATIONEN

Offenbarungspflicht einer Vorstrafe bei Abschluss eines Architektenvertrags

KG Berlin verlangt, bei Abschluss eines Planervertrags Vorstrafe zu offenbaren

Das Kammergericht (KG) Berlin hat in einem Urteil vom 13. Jan. 2023 (Az. 21 U 50/22) zu den Voraussetzungen, unter denen ein Architekt oder Ingenieur bei Verhandlungen über den Abschluss eines Architektenvertrags die einschlägige Vorstrafe einer Person ungefragt offenbaren muss, die mit maßgeblichem Einfluss an der Vertragserfüllung mitwirken soll, Stellung genommen. Nach Auffassung des Gerichts ist in Verhandlungen über den Abschluss eines Architektenvertrags die frühere Verurteilung des Architekten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Bestechlichkeit jedenfalls dann eine einschlägige Vorstrafe, wenn Leistungen der Leistungsphasen 7 und 8 gemäß HOAI Gegenstand des Architektenvertrags sein sollen.

Die Klägerin und die X GmbH (im Folgenden: X GmbH) sind in Berlin ansässige Architekten- und Ingenieursgesellschaften. Zumindest seit dem Jahr 2018 ist Herr G Alleingesellschafter beider Gesellschaften. Herr G war zuvor bis März 2013 Prokurist und Bereichsleiter der F GmbH. In dieser Funktion erwirkte er, dass die F GmbH Nachtragsforderungen eines Bauunternehmers in Millionenhöhe für Bauleistungen am Vorhaben V ohne Prüfung bezahlte.

Für diese Tat verurteilte ihn das Landgericht Cottbus im September 2017 wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Diese Verurteilung ist rechtskräftig. Jedenfalls in den Jahren 2018 und 2019 verbüßte Herr G diese Strafe als Freigänger im offenen Vollzug; er war zu dieser Zeit bei dem Potsdamer Bauunternehmen H GmbH fest angestellt. Jedenfalls seit diesem Zeitraum ist seine Mutter Geschäftsführerin der Klägerin und der X GmbH.

Die Beklagte ist eine Projektentwicklungsgesellschaft, die das auf dem Grundstück S. in Berlin befindliche Wohngebäude sanierte. Die Gesellschaft gehört zur sog. B-Unternehmensgruppe. Zu dieser gehören weitere Gesellschaften, deren Geschäftsbetrieb in der Sanierung bzw. dem Neubau von Gebäuden auf Grundstücken in Berlin besteht.

Mehrere dieser Projektgesellschaften beauftragten in den Jahren 2018 und 2019 die Klägerin und die X GmbH. Die Verträge mit der Klägerin hatten die näher definierte Planung der technischen Gebäudeausrüstung für die Bauvorhaben der Projektgesellschaften zum Gegenstand. Die Verträge mit der X GmbH hatten die näher definierte Überwachung der Bauarbeiten zum Gegen- stand. In allen Fällen hatte Herr G die Vertragsverhandlungen für die Klägerin bzw. die X GmbH geführt, während der Prokurist dieser Gesellschaften, Herr M, die Verträge unterzeichnete. Für die Durchführung des Vertrags war auf Seiten der Leistungserbringerin Herr G verantwortlich, der allerdings nicht alle beauftragten Aufgaben selbst erledigen, sondern auch weitere Personen einschalten sollte.

2019 gerieten die Parteien dieser Verträge in Streit. Der Geschäftsführer der Projektgesellschaften war der Auffassung, die Klägerin bzw. die X GmbH befänden sich im Verzug und erklärte schließlich mit Schreiben vom 6. August 2019 die Kündigung der Verträge aus wichtigem Grund. Die Klägerin und die X GmbH erhoben daraufhin Klagen auf Sicherheitsleistung und auf Kündigungsvergütung gegen ihre Vertragspartner.

Im November 2020 erfuhr der Geschäftsführer der Projektgesellschaften von der Vorstrafe des Herrn G. Daraufhin erklärte er im Namen dieser Gesellschaften die Anfechtung ihrer Verträge mit der Klägerin bzw. der X GmbH wegen arglistiger Täuschung.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin die mit der Klage beanspruchte Sicherheitsleistung aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zusteht, so das KG Berlin.

Dieser Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 650 f Abs. 1 BGB. Dazu müsste der streitgegenständliche Planungsvertrag zwischen den Parteien wirksam sein. Das ist nicht der Fall, da die Beklagte diesen Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB).

Die Klägerin hat die Beklagte arglistig getäuscht, indem sie ihr vor Vertragsschluss nicht den Umstand offenbarte, dass ihr Alleingesellschafter G im Jahr 2017 wegen Bestechlichkeit rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, die er zur Zeit des Vertragsabschlusses im offenen Verzug verbüßte.

Bei Vertragsverhandlungen besteht keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen.

Allerdings besteht eine Pflicht zu ungefragter Aufklärung vor Vertragsschluss dann, wenn es um eine Tatsache geht, die für die Willensbildung der anderen Seite offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung ist, so dass die Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise erwartet werden durfte. Davon ist insbesondere bei solchen Tatsachen auszugehen, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können.

Somit besteht keine generelle Pflicht im Rahmen von Vertragsverhandlungen über die Vorstrafen einer Person zu informieren, die von einer Seite in die Vertragserfüllung einbezogen werden soll. Vielmehr müssen Vorstrafen nur dann offenbart werden, wenn sie berechtigten Anlass zu der Befürchtung geben, dass eine Seite den Vertrag entweder nicht ordnungsgemäß erfüllen oder aber der Gegenseite durch die Verletzung von Nebenpflichten Schaden zufügen wird. Nur dann ist die Vorstrafe einer in die Vertragserfüllung einbezogenen Person geeignet, den Vertragszweck zu gefährden. Deshalb ist eine Vorstrafe nur unter den folgenden Voraussetzungen vor dem Abschluss eines Vertrags aufklärungspflichtig:

(1) Es muss sich entweder um die Vorstrafe der Vertragspartei selbst handeln (was voraussetzt, dass die Vertragspartei eine natürliche Person ist) oder einer Person, die in einer Weise in die Vertragserfüllung einbezogen sein wird, dass sie maßgeblichen Einfluss hierauf haben wird (was sowohl bei natürlichen wie juristischen Personen als Vertragspartei in Betracht kommt).

(2) Da es eine große Bandbreite möglicher Vertragsinhalte einerseits und möglicher Vorstrafen andererseits gibt, genügt die Vorbestraftheit einer Person unabhängig von dem konkreten Tatvorwurf für sich genommen nicht aus, um berechtigte und schwerwiegende Zweifel an ihrer Eignung zur Vertragserfüllung zu begründen. Die Vorstrafe muss deshalb einschlägig sein. Das heißt, in der Vorstrafe muss ein Eignungsdefizit in einem Persönlichkeits- und Anforderungsbereich zum Ausdruck kommen, der auch für den in Rede stehenden Vertrag von Bedeutung ist.

(3) Geht es um die Vorstrafe einer Person, die nicht selbst Vertragspartei ist, darf der Vertragspartei die Aufklärung über die Vorstrafe nicht tatsächlich oder rechtlich unmöglich sein.

Tatsächlich unmöglich ist die Aufklärung, wenn der Vertragspartei die Vorstrafe der von ihr in die Vertragserfüllung einbezogenen Person nicht bekannt ist.

Rechtlich unmöglich ist die Aufklärung, wenn sie aus Gründen des Persönlichkeits- oder Datenschutzes nicht zulässig wäre. Von einer solchen Unmöglichkeit dürfte beim Auseinanderfallen von vorbestrafter Person und Vertragspartei in der Regel auszugehen sein. Anderes kann aber dann gelten, wenn die vorbestrafte Person selbst die Vertragsverhandlungen für die spätere Vertragspartei führt.

(4) Schließlich kann in aller Regel keine Aufklärungspflicht über eine Vorstrafe bestehen, wenn der Verurteilte sie nach § 53 Abs. 1 BZRG nicht mehr offenbaren muss, denn die Wertentscheidungen des BZRG sind auch im Rahmen von § 123 BGB zu beachten.

Nach diesen Voraussetzungen hätte die Klägerin die Beklagte über die Vorstrafe von Herrn G informieren müssen (dahingehend auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Januar 1996, 22 U 134/95).