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Schätzung des Kartellschadensersatzes gegen Lkw-Hersteller

Erstmals schätzt ein deutsches Gericht die Höhe eines Kartellschadensersatzanspruchs

Erstmals hat ein deutsches Gericht im Lkw-Komplex auf Basis der ökonomischen Parteigutachten geschätzt, wie viel Schadensersatz einem Kartellopfer zusteht.

Am Ende ging es um etwa 200 Lastwagen, die die Berliner Stadtreinigung von MAN und Iveco gekauft hat. 2016 hatte die EU-Kommission Milliardenbußgelder gegen mehrere Lkw-Hersteller verhängt, seitdem rollt eine Welle von Kartellschadensersatzklagen über Gerichte in ganz Europa hinweg. Oft kommen diese Klagen von kommunalen Betrieben, da z.B. Müllabfuhren von Natur aus treue Lkw-Käufer sind.

Vor dem LG Berlin hat die Berliner Stadtreinigung nun das erste Urteil erstritten, in dem ein Gericht die Schadenshöhe geschätzt hat (Urteil vom 15. Juni 2023, Az. 16a O 1/20 Kart). Bisher gibt es im Lkw-Kartell nur einige Grundurteile zugunsten von Klägern, die die Frage ausklammern: Wie hoch war der Schaden? Wie man diesen berechnet, darüber toben überall im Land Gutachterschlachten. Zu den Parteigutachten lassen viele Gerichte noch unabhängige Gutachten anfertigen. In München und Stuttgart etwa haben die Wirtschaftsprofessoren Oliver Falck (LMU München) und Florian Smuda (Hochschule Koblenz) inzwischen erste Gerichtsgutachten vorgelegt.

Das LG Berlin verzichtete auf einen eigenen Sachverständigen und nimmt in seinem mehr als 100-seitigen Urteil Bezug auf das Klägergutachten von Lademann & Associates. Dieses weist einen Kartellschaden von 5 bis 14 Prozent des Nettokaufpreises aus, abhängig von der Ausführung des gekauften Fahrzeugs. Im Ganzen landen die Richter mit ihrer Schätzung bei 5 Prozent. Das liegt am unteren Ende der Spanne, ist aber dennoch ein Erfolg für die Kläger, da bisher noch kein Kläger überhaupt jemals einen konkreten Schadensbetrag in Aussicht hatte.

Je nachdem, wie Skonti, steuerliche Details und Zinsfragen ausgelegt werden, dürften die Kläger etwa eine Million Euro bekommen – macht bei 200 Lkw etwa 5.000 Euro pro Fahrzeug. Es gilt jedoch als sicher, dass die Hersteller gegen das Urteil in Berufung gehen. Das Kammergericht Berlin, bei dem der Fall landet, ist allerdings nicht berühmt für schnelle Entscheidungen als Berufungsinstanz. Somit ist das Urteil zwar nicht rechtskräftig, dürfte aber erst einmal für ein paar Jahre in der Welt bleiben.

Für die Hersteller ist das deshalb gefährlich, weil es allein in Deutschland mehrere hundert Verfahren gibt, in denen es um Hunderttausende von Lastwagen geht. Wenn Gerichte insgesamt dazu übergehen, mutiger Schäden zu schätzen, statt sich immer weiter in die ökonomischen Untiefen der Schadensberechnung zu begeben, könnte es schnell sehr teuer werden für Daimler, Iveco, Volvo, MAN, DAF und Scania. Anlass zur Sorge, dass aus der richterlichen Schadensschätzung ein Trend wird, gibt es aus Sicht der Hersteller durchaus: Auch im Schienenkartell und im Girocard-Kartell hatte das LG Berlin vor Kurzem erstmals Kläger auf dieser Basis Schadensersatz zugesprochen.

(Quelle: Juve aktuell)