Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Februar 2022(Az. 3 StR 329/21) nochmals zur sog. Business Judgement Rule Stellung genommen. Der BGH bestätigt, dass dem Vorstand einer Aktiengesellschaft bei der Leitung der Geschäfte eines Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden müsse, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar sei.
Hierzu gehörten neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unterliegen. Eine Pflichtverletzung liege aber erst dann vor, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältige Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind.
Daneben könne eine Pflichtverletzung auch dann angenommen werden, wenn die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss. Die zum Aktienrecht entwickelten, mittlerweile als sog. Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1 S. 2 Aktiengesetz kodifizierten Grundsätze seien auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB (Untreue). Eine Entscheidung des Vorstands auf unzulänglicher Tatsachengrundlage könne Indiz für eine Pflichtverletzung sein. Diese sei letztlich aber nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliege. Der Leitungsfehler müsse sich auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen.
Es sei grundsätzlich anerkannt, so der BGH, dass in der konkreten Entscheidungssituation die Ausschöpfung aller verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art geboten sei, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Die konkrete Entscheidungssituation sei danach der Bezugsrahmen des Ausmaßes der Informationspflichten. Dementsprechend sei es notwendig, aber auch ausreichend, dass sich der Vorstand eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschaffe.
Je nach Bedeutung der Entscheidung sei eine breitere Informationsbasis rechtlich zu fordern. Dem Vorstand stehe danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf zur Vorbereitung seiner unternehmerischen Entscheidung selbst abzuwägen. Ausschlaggebend dabei sei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Information getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reiche aus, dass der Vorstand dies vernünftigerweise annehmen durfte. Die Beurteilung des Vorstands im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung müsse aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters vertretbar erscheinen.
Die genauen Anforderungen an die Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen werden auch in der Literatur thematisiert. Die sorgfältige Ermittlung zeige sich vor allem in der Art und Weise der Informationsbeschaffung. Dabei bestehe weder eine generelle Pflicht zur Beschaffung aller nur denkbaren Informationen noch ein Gebot bestmöglicher Information, wohl aber eine Pflicht zur gründlichen Entscheidungsvorbereitung und sachgerechten Risikoabschätzung in der konkreten Situation.
Konkret bedeutet das: Je größer die wirtschaftlichen Risiken sind, die mit einer potentiellen Fehlentscheidung verbunden sein können, desto strenger sind die Anforderungen an die Erfüllung der Informationspflicht. Die Verursachung unangemessener Kosten zur Einholung von Informationen kann wiederum selbst Anlass für strafrechtliche Ermittlungen sein. Die Schwierigkeit, das richtige Maß zwischen zu wenig und zu viel Informationsbeschaffung zu finden, darf allerdings nicht zulasten des Vorstands zu Buche schlagen. Wenn dieser sich ernsthaft darum bemüht, ein für seine Entscheidungsfindung ausreichendes Maß an Informationen zusammen tragen zu lassen und dabei keine evidenten Fehler begeht, fehlt es insoweit an einem Anfangsverdacht für eine Untreue (§ 266 StGB).
In diesem Zusammenhang ist erneut zu betonen, dass auch nach Ansicht der Literatur für die Beurteilung der Angemessenheit der Tatsachenbasis grundsätzlich die Ex ante-Sicht des Vorstandsmitglieds entscheidend ist. Das Gesetz begründe allerdings eine gewisse Objektivierung dadurch, dass es darauf abstellt, dass das Vorstandsmitglied „vernünftigerweise annehmen durfte“, auf Grundlage angemessener Information zu handeln.